Geschichte der Sterbehilfe

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Philosophische Wurzeln in der Antike

Für die Einordnung und Bewertung der vertretenen Positionen ist eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen, bereits in der Antike existenten Euthanasiebegriff hilfreich.

Im antiken Griechenland – wie auch in anderen Kulturen – wurde zwischen zwei Arten des Todes unterschieden: einem Tod, der "an der Zeit" ist, wie etwa auch der Schlaf (thanatos), und einem vorzeitigen Tod, der die Menschen aus dem Leben reißt (ker). Der Begriff der "Euthanasie" bezog sich ursprünglich auf den "thanatos"-Tod.

Zu den wesentlichen Postulaten des ethischen Selbstverständnisses der Medizin zur Frage der Euthanasie zählt bis heute die Zusicherung aus dem Eid des Hippokrates, der im 5./4. Jh. v. Chr. abgefasst wurde: "Nie werde ich irgend jemandem, auch auf Verlangen nicht, ein tödliches Mittel verabreichen oder auch nur einen Rat dazu erteilen."

Auch wenn in der antiken Alltagsrealität sowohl die Selbsttötung bei Lebensmüdigkeit als auch die Hilfe zum Tod nicht unbedingt als verwerflich galten, entsprach das strikte Verbot der ärztlichen Hilfe zu Tötungshandlungen jedenfalls der idealtypischen Wunschvorstellung in der Antike.

Der früheste Beleg für den Begriff Euthanasie findet sich bei dem griechischen Dichter Kratinos, der ihn um 500 - 420 v. Chr. zur Bezeichnung eines "guten Todes" in Abgrenzung zu einem schweren Sterben gebraucht. "Guter Tod" wird als "leichter Tod", als Tod ohne vorhergehende lange Krankheit, auch als relativ schnell eintretender Tod charakterisiert.


Eine noch entschiedenere Position vertritt Platon, der in seiner Staatsidee Politeia sowohl die aktive als auch die passive Euthanasie propagiert.Die philosophische Strömung, die die Vorstellung von der Todesverachtung entwickelte, fordert Euthanasie stets dann, wenn physische und psychische Leiden vernunftgemäßes Bewusstsein und naturgemäßes sittliches Handeln bedrohen oder nicht mehr ermöglichen.

Obwohl im Corpus Hippocraticum (Schriftsammlung aus der Zeit des Hippokrates zu Fragen der Medizin, etwa 400 v. Chr.) dem Arzt unter bestimmten Umständen geraten wurde, von einer Behandlung unheilbar Kranker abzusehen, lässt dieses Werk durchaus auch Ansätze einer Palliativmedizin im modernen Sinn erkennen, in deren Vordergrund die Schmerzlinderung steht.


Jüdische/christliche Einflüsse

Von besonderer Bedeutung für das Euthanasieverständnis ist der jüdisch/christliche Einfluss im Übergang von der Antike ins Mittelalter. Die alleinige Verfügungsgewalt Gottes über das menschliche Leben, das 5. Gebot: "Du sollst nicht töten", die Verurteilung der Selbsttötung durch Augustinus und Thomas von Aquin sowie das Gebot Christi, sich Kranken und Bedürftigen anzunehmen, führten zu einer strikten Ablehnung jeglicher Euthanasie.

Die Heilkunde des Mittelalters, die ihre wesentliche Aufgabe darin sah, den physischen Körper gegen die Anfechtungen des Teufels zu stärken, entwickelte als ars moriendi eine Art Sterbekunst. Die in Traktatform verfassten Handreichungen für Priester, Angehörige und Ärzte dienten der rechtzeitigen Vorbereitung des Menschen auf das Sterben und damit der Verhinderung eines plötzlichen ungeordneten Todes. Beistand in seelischer und geistiger Hinsicht standen dabei im Mittelpunkt der Aufgaben des Sterbehelfers. Das christlich-mittelalterliche Denken sah in einem guten Tod eine besondere Weisheit, die ihm in Gnade geschenkt wurde.


Frühe Neuzeit

Einer der bedeutendsten Utopisten der Renaissance, Thomas Morus (1478-1535), greift die antiken Vorstellungen zur Euthanasie auf und ergänzt sie um den Aspekt der Selbstbestimmung (Autonomie). Euthanasie soll gegen den Willen des Patienten nicht möglich sein.

Francis Bacon (1561-1626) unterscheidet zwischen der "euthanasia interior", der seelischen Vorbereitung auf den Tod, und der "euthanasia exterior", die dem leidenden Menschen sein Lebensende leichter und schmerzloser bereiten soll. Nach Auffassung von Bacon ist ein solches Handeln humaner und sozialer als fromm am Bett zu sitzen und auf den Tod zu warten.


19. und 20. Jahrhundert

Durch das Bündnis der Eugenik, der Rassenhygiene und des Sozialdarwinismus mit der Medizin und den Naturwissenschaften am Ende des 19. Jh. kommt es zu einem grundlegenden Mentalitätswandel in Fragen der Euthanasie.

Noch 1836 verkündete Christoph Wilhelm Hufeland, dass es primäre Aufgabe des Arztes sei, das Leben auch bei unheilbaren Krankheiten zu erhalten. Glaube sich der Arzt einmal berechtigt, über die Notwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, reichten unwesentliche Beeinflussungen aus, um den Unwert eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden.

Charles Darwin ging hingegen in seinem Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein" bereits von der These aus, dass sich das plan- und richtungslose Variieren der Natur nur durch die natürliche Auslese in bestimmte Bahnen lenken lasse.

Ernst Haeckel (1834-1919) wandte Darwins Theorie auch auf den kulturell-sozialen Bereich an und formulierte eine "Einheitstheorie" des Lebens, die er Monismus nannte. Er war der Auffassung, dass die "künstliche" Züchtung durchaus positive Folgen haben könne und verwies in diesem Zusammenhang auf die Tötung behinderter Kinder im antiken Sparta und bei Indianern Nordamerikas. In seinem Werk "Die Lebenswunder" trat er explizit für die "Euthanasie" bei Kindern ein.


1895 publiziert Adolf Jost seine soziale Studie "Das Recht auf Tod". Für Jost hat der individuelle Anspruch hinter die Interessen der Gesellschaft zurückzutreten. Utilitaristische Interessen werden zum absoluten Maßstab. Zentrale Bedeutung für Josts Argumentation hat der Begriff "Wert des Lebens".

Dieser Wert setze sich aus zwei Faktoren zusammen, dem Wert des Lebens für den betreffenden Menschen selbst, also die Summe von Freude und Schmerz, die er zu erleben hat, und der Summe von Nutzen oder Schaden, die das Individuum für seine Mitmenschen darstellt. Aus der Perspektive der Gesellschaft gesehen, füge der unheilbar Kranke ihr materiellen Schaden zu. Zusammen mit dem "Mitleid", das man mit dem Kranken haben müsse, sei sein Tod zu fordern. Dieses Mitleid sollte jedoch nicht nur zur Begründung der Tötung auf Verlangen dienen, sondern sollte auch die Tötung "Geisteskranker" (ohne Einwilligung) legitimieren.

Unter dem Einfluss von Karl Binding und Alfred Hoche erreichte die Diskussion um die Euthanasie im 20. Jh. ihren eigentlichen Höhepunkt. Ihre Schrift "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens" initiierte und bestimmte die Euthanasie-Debatte während der Weimarer Republik und bereitete die Verbrechen der NS-Diktatur in entscheidendem Maße vor.

Binding erwägt, Tötungshandlungen unter bestimmten Umständen als Heileingriffe gesetzlich zuzulassen. Dies in den Fällen, in denen die schmerzhafte, in der Krankheit wurzelnden Todesursache durch eine schmerzlose andere ersetzt werden könne.

Nach Ansicht von Hoche gibt es Menschenleben, "die so stark die Eigenschaft des Rechtsgutes eingebüßt haben, dass ihre Fortdauer für die Lebensträger wie für die Gesellschaft dauernd allen Wert verloren hat". Das intellektuelle Niveau und die Gefühlsregungen dieser Menschen seien mit denjenigen von Tieren zu vergleichen. Ein insoweit "geistig Toter" sei nicht imstande, einen subjektiven Anspruch auf Leben erheben zu können. Insoweit sei die Beseitigung eines geistig Toten einer sonstigen Tötung nicht gleichzusetzen.

Die deutschen Ärzte wandten sich mehrheitlich gegen die Vernichtung "lebensunwerten Lebens".


Quellenangabe:

http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Euthanasie