Geschichte der Gastronomie in Ungarn
Geschichte der Gastronomie in Ungarn – ein kleiner Abriss
Das Leben der Ungarn vor der Einwanderung ins Karpatenbecken („Landnahme”, ungar. honfoglalás; ca. 895-902) war noch geprägt durch einen nomadischen Lebensstil. Regino von Prüm (ca. 840-915) schreibt in seiner Weltchronik, dass sie „Jagd und Fischfang betreiben, und sich von Milch und Honig ernähren.“ Aus derartigen Angaben und dem Vergleich mit anderen Nomadenvölkern kann man davon ausgehen, dass sie Fleisch (besonders Hammel, Rind und Wild) am Spieß über offenem Feuer brieten. Außerdem kochten sie im Kessel Suppen aus Rindfleisch und Gemüse – in gewisser Weise der Vorläufer der modernen Gulaschsuppe (der ungarische Begriff gulyás dafür scheint sehr alt zu sein), aber natürlich noch ohne Kartoffeln und Paprika: diese gelangen erst Jahrhunderte später nach Ungarn! In die Suppen kam wohl auch Nudelteig, der getrocknet in kleine Stücke gebrochen (lebbencs) oder zu kleinen Kügelchen gezupft und dann getrocknet (tarhonya) lange haltbar war. Fleisch, das nicht frisch verarbeitet werden konnte, konservierte man durch Einpökeln, Trocknen, Räuchern, oder man legte das ausgebratene Fleisch in Tierfett ein; aus dem Blut oder den Innereien frisch geschlachteter Schweine stellte man Wurst her (hurka). Bekannt war auch Brei, den man aus mit Wasser oder Milch verrührtem gemahlenem Getreide herstellte; auf erhitzten Rundsteinen wurde dieser auch zu Brotfladen (lepény) gebacken. An Gemüse waren Kohl, Rettich, Erbsen, Zwiebeln und verschiedene Salate bekannt sowie offensichtlich auch eine alte, aus Asien (bes. dem heutigen Iran) stammende Maissorte. (Der heute in Europa verbreitete, wesentlich ertragreichere Mais wurde dagegen erst ab dem 16. Jahrhundert von den Spaniern aus Mittel- und Südamerika eingeführt und verbreitete sich dann aber relativ schnell besonders über die Handelswege im Mittelmeer nach Osten.) Gewürzt wurde mit Bohnenkraut (csombor), Estragon (tárkony), Kümmel (kömény), Salz, Honig und Essig. Verschiedene alkoholische Getränke waren bereits bekannt: die bei Nomaden in Eurasien allgemein verbreitete gegorene Stutenmilch (Kumys) sowie eine Art von Bier und ein durch Gärung aus Hirse hergestelltes, boza genanntes Getränk.
Die Landwirtschaft spielte nach der Landnahme eine immer wichtigere Rolle; vieles haben die Magyaren damals von den bereits im Karpatenbecken lebenden Slawen gelernt und übernommen.
Weizen, Gerste und Hirse wurden jetzt regelmäßig angebaut, Obst und Wein wurde kultiviert und intensiv auch Viehzucht (Rinder, Schweine, Schafe) betrieben.
Zahlreiche slawische Lehnwörter in der ungarischen Sprache zeigen dies auch heute noch: gomba „Pilz”, gabona „Getreide”, korpa „Kleie”, dinnye „Melone”, uborka „Gurke”, asztal „Tisch”, kemence „Backofen”, pince „Keller”, csésze „Tasse”, ebéd „Mittagessen”, ecet „Essig”, kalács (eine Art Kuchen), kolbász (eine Art Wurst), olaj „Öl”, pecsenye „Braten”, zsír „Fett”, répa „Rübe”, bab „Bohne”, lencse „Linse”, káposzta „Kohl, Kraut”, szilva „Pflaume”, málna „Himbeere”, barack „Aprikose, Pfirsich”.
König Stephan I. (István; 969-1038, regierte ab 997 als Fürst von Ungarn, ab 1000/1001 als König) heiratete Gisella, eine bayerische Prinzessin. Mit ihr kamen zahlreiche Ritter, aber auch Handwerker, Bäcker und andere Fachleute aus dem Frankenreich (besonders aus Bayern) nach Ungarn. So können wir im Mittelalter auch einen gewissen deutschen Einfluss auf die Entwicklung der Gastronomie in Ungarn feststellen – in dieser Zeit wurde beispielsweise die Brezel (ungar. perec) in Ungarn eingeführt.
Illustration aus dem Hortus deliciarum (12. Jahrhundert):
die vermutlich älteste Darstellung einer Brezel
Das Essen der einfachen Menschen war zu dieser Zeit wohl ziemlich eintönig und bestand hauptsächlich aus Getreide- und Gemüsebrei und –suppen; Fleisch wurde wenig konsumiert.
In den Klöstern sind Aufzeichnungen über die Essgewohnheiten der Mönche erhalten. Im Kloster Pannonhalma wurden beispielsweise Speisen aus Fleisch, Fisch und Obst zubereitet. Die umliegenden Dörfer, die mit ihren Ländereien zum Kloster gehörten, mussten die Lebensmittel an die Mönche liefern.
Auch Beatrix von Aragon, Tochter des Königs von Neapel, trug zur Veränderungen bei den ungarischen Essgewohnheiten bei. Sie heiratete 1476 den ungarischen König Matthias (Hunyadi Mátyás; 1443-1490; reg. ab 1469), und brachte in ihrer Gefolgschaft viele italienische Handwerker, Künstler und auch Köche nach Ungarn. Deutlich unterschied sich die jetzt italienisch geprägte Küche am Hof von König Mattias von der seiner Vorgänger. Fleischgerichte wurden jetzt beispielsweise mit kräftigen Soßen gewürzt, wobei Zwiebeln und Knoblauch und als Gewürze Pfeffer, Ingwer, Anis und Dill eine wichtige Rolle spielten. Sehr beliebt war Fisch, vor allem: Hecht, Quappe (auch Trüsche oder Treische), Aal und Forelle. An Fleisch kamen vor allem Rind, Schaf, Haus- und Wildschwein, Ziege, Hirsch, Reh, Hase, Gans, Ente, Rebhuhn und Fasan auf den Tisch. Als Delikatesse galt das Fleisch extra gezüchteter Pfauen. In Essig eingelegte Fische waren ebenfalls bekannt. Dazu wurde in großen Mengen Brot aus Sauerteig verzehrt. Außerdem gab es Käse, und in dieser italienisch beeinflussten Zeit verbreiteten sich auch die Esskastanie und Nudelgerichte.
Selbstverständlich war auch in dieser Zeit das Essen der einfachen Leute viel bescheidener: für sie hatte sich zunächst wenig geändert, und nur langsam setzten sich höfische Trends in breiteren Kreisen der Bevölkerung durch.
Nach dem Fall Budas im Jahr 1641 besetzten die Türken große Teile Ungarns und richteten sich dort für die nächsten ca. 150 Jahre häuslich ein. Immerhin leisteten auch sie gewisse Beiträge zur ungarischen Küche, wie wir sie heute kennen. Besonders das Paprika hat ungarische Essgewohnheiten wohl verändert wie kaum eine andere Zutat. Ursprünglich von den Spaniern aus Mittel- und Südamerika eingeführt verbreitete es sich rasch im gesamten Mittelmeergebiet und kam über venezianische Händler auch ins Osmanenreich. Die Türken nahmen es schließlich mit auf ihre Feldzüge. Ungarn verfügt über Landschaften, die für den Anbau hervorragend geeignet sind, und so verbreitete sich das Paprika im Land und ist heutzutage aus etlichen Nationalgerichte (denken wir nur an Gulasch und Gulaschsuppe) nicht mehr wegzudenken. In dieser Zeit lernen die Ungarn erstmals den Kaffee kennen, richtig populär wird das schwarze Getränk aber erst unter dem Einfluss der Wiener Kaffeehaus-Kultur im ausgehenden 18. und besonders im 19, Jahrhundert.
In der Habsburgerzeit lässt sich ein starker österreichischer und westeuropäischer (besonders deutscher und französischer) Einfluss auf die Gastronomie in Ungarn feststellen. Besonders bei der Oberschicht erfreuen sich diese Neuerungen größer Beliebtheit, manche Gerichte verbreiten sich aber auch recht schnell in allen Schichten der Bevölkerung, wie z.B. der Kaiserschmarrn und der Strudel. Maria Theresia und Josef II. förderten den Anbau der ursprünglich aus Amerika stammenden Kartoffel; in Ungarn findet man sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die meist umgangssprachlich gebrauchte ungarische Bezeichnung für Kartoffel stammt von dem auch heute noch in manchen deutschen Dialekten verwendeten Wort „Grundbirne“: daraus wird ungar. krumpli (das –li ist eine Verkleinerungsform; zu deutsch –lein).
Grundbirne --> krumpir / krumper --> krumpli --- [krumpir auch heute noch im Kroatischen für "Kartoffel"!]
Eine wichtige Rolle spielen auch die deutschsprachigen Ansiedler, die besonders in der Zeit von Maria Theresia und Josef II. ins Land kamen(„Schwabenzüge“). Sie brachten natürlich auch ihre Essgewohnheiten mit. Ein hübsches Beispiel dafür ist eine bestimmte Wurstart, deren Rezept Siedler aus dem süddeutschen „Stift Fulda“ mitbrachten. Diese stellten sie auch in Ungarn her – jetzt natürlich mit Paprika! Die Bezeichnung für diese Gruppe von Siedlern wurde schließlich zum Namen für die Wurstspezialität: Stift Fuldaer --> stifolder.
Geschichte der Gastronomie in Ungarn: Neuzeit
Während im Mittelalter gewerbsmäßige Herbergen und Gasthäuser eine eher geringe Rolle spielten, treten sie nun in größerer Zahl auf. Von ihrer Verbreitung im türkisch besetzten Gebiet Ungarns berichtet auch der türkische Reisende Evliya Çelebi (ungar. Evlia Cselebi; 1611-1687).
Datei:Evliya Celebi.jpg Evliya Çelebi
1696, zehn Jahre nach der Rückeroberung Budas und Pests, befinden sich in Pest sieben Herbergen mit insgesamt 27 Gästezimmern. Die Zahl der Unterkünfte und der gastronomischen Betriebe wuchs in der Folge kontinuierlich mit der Zunahme der Bevölkerung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffneten die ersten Hotels; immer mehr Restaurants entstanden, ein Trend, den die Vereinigung der drei Stadtteile Buda, Óbuda und Pest zu Budapest im Jahr 1873 und die neue Bedeutung Budapests als Hauptstadt des Königreichs Ungarn nur noch verstärkten.
Einige der Hotels waren damals berühmt für ihre hervorragende Küche. Zu besonderem Ruhm kam das 1846 eröffnete Hotel Erzherzog Stephan (István Főherceg). Johannes Gundel, der 1857 aus Deutschland nach Buda gekommen war und zuvor schon mehrere Restaurants und Hotels geleitet hatte, mietete das Hotel in den Jahren von 1889 bis 1904. Er spielte (wie später auch sein Sohn Karl) bei der Reform der ungarischen Küche eine bedeutende Rolle, und so verwundert es nicht, dass unter seiner Leitung auch das hoteleigene Restaurant so bekannt wurde, dass in dieser Zeit fast alle namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dort verkehrten. Hier seien stellvertretend nur Kálmán Mikszáth, János Kemény, Kálmán Tisza und Mór Jókai genannt.
Auch Cafés – wie das berühmte Café New York – und Konditoreien entstanden in dieser Zeit. Im Jahr 1884 übernahm der aus der Schweiz stammende Emil Gerbeaud die später nach ihm benannte Konditorei. Er sollte die Entwicklung der Konditorei in Ungarn wesentlich mitgestalten, führte er doch nicht nur neue Backerzeugnisse sondern vor allem moderne, teilweise bereits mechanisierte Herstellungstechniken ein.
Das Café New York in Budapest, Erzsébet körút 7-9
Unbedingt erwähnen müssen wir hier auch Karl Gundel (Gundel Károly, 1883-1956), den Sohn des oben bereits erwähnten Johann. Vieles lernte er wohl von seinem Vater, ging aber in der Folge auch nach Frankreich, England, Deutschland und in die Schweiz, um seine Kenntnisse zu vervollkommnen. Dabei machte er Praktika in so renommierten Häusern wie dem Hotel Ritz oder dem Hotel Adlon. In der Folge kann man in seinem Kochstil einen deutlichen französischen Einfluss feststellen. Nachdem er 1910 nach Budapest zurückgekehrt war, übernahm er das "Wampetich-Restaurant" im Stadtwäldchen (Városliget) in der Nähe des Tiergartens. In der Folge (später unter dem Namen "Gundel Restaurant") gelangte es aufgrund der herausragenden Qualität seiner Küche zu Weltruhm. 1949 wurde es jedoch verstaatlicht und verlor in der Folge viel von seinem Glanz.
1991 kauften die beiden US-Amerikaner Ronald S. Lauder und Georg Lang (György Láng) das Restaurant, mit der Absicht, es wieder auf sein früheres Niveau zurückzuführen. Heute gilt es wieder als eine der besten Adressen in Budapest, was auch die Liste seiner Gäste belegt: so speisten hier beispielsweise schon Albert von Monaco, Jacques Chirac, Königin Elisabeth II., Otto von Habsburg, Johannes Paul II., George Pataki, György Solti und Tony Curtis. Aufgrund der hohen Preise bleibt hier aber zumeist die Prominenz unter sich.
Ein Artikel über George Lang (mit Bildern; englisch):
Matt DeLucia, "George Lang - His Amazing Journey to Café Des Artistes," Restaurant Insider, March 2007.
Und hier finden Sie das Gundel Restaurant auf dem Stadtplan von Budapest.
Der I. Weltkrieg brachte den Fremdenverkehr weitgehend zum Erliegen, doch in der Zeit zwischen den Kriegen kam es trotz der Weltwirtschaftskrise zu einem erneuten Aufschwung des Tourismus und der Gastronomie, wozu auch die Eröffnung der Autostraße zwischen Wien und Budapest im Jahr 1931 beitrug.
Im Jahr 1937 kamen bereits 300.000 in- und ausländische Besucher nach Budapest, die hier immerhin 40 Million Pengő ausgaben, den größten Teil davon in gastronomischen Einrichtungen.
Vor dem II. Weltkrieg gab es in Ungarn mehr als 14.000 Restaurants, Wirtshäuser und andere gastronomische Betriebe (darunter etwa 30% Kneipen), sowie etwa 1900 Hotels. Der Krieg unterbrach erneut die Entwicklung von Tourismus und Gastronomie und richtete besonders in der Hauptstadt auch große Schäden an – besonders betroffen waren die innenstädtischen Hotels der Hauptstadt, und unter diesen wiederum besonders die Hotels entlang der Donau.
Nach dem Krieg wurden 1948 die gastronomischen Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten, 1949 dann auch die mit mindestens 10 Angestellten verstaatlicht. In den staatlichen Gastronomiebetrieben änderte sich auch die Aufgabenstellung grundlegend; anstelle anspruchsvollerer Angebote traten nun in erster Linie die Massenverpflegung, besonders in den Industriebetrieben sowie Billigangebote wie die Volksbüffets, die in erster Linie in der Hauptstadt, den größeren Städten in der Provinz sowie an beliebten Ausflugsorten entstanden.
Mitte der 50er Jahre begann ein Aufschwung, in dessen Folge sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Betriebe verdoppelte und der Umsatz sogar verdreifachte.
Seit den 60er Jahren kam es wegen der Zunahme insbesondere des Incoming-Tourismus zu Modernisierung und Ausbau der wichtigeren Hotels sowohl in Budapest wie auch andernorts, neue Hotels wurden errichtet.
Gleichzeitig traten neue Geschäftstypen in den Vordergrund. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Hotels gab es immer mehr Bars; dem zunehmenden Kaffeekonsum trugen die zahlreichen neuen kleinen Cafés und Espressobars Rechnung. Anstelle der einfachen Kneipen traten nun häufig Bier- und Weinstuben, Landgasthäuser (csárda) und Nachtklubs.
1960 eröffneten die ersten Selbstbedienungsrestaurants. Besonderer Beliebtheit erfreute sich der Mézes Mackó ("Honigbär") – eine Schnellimbisskette mit Selbstbedienung; unter anderem gab es Hamburger im Angebot, lange bevor McDonald's nach Ungarn kam. (Bilder finden sich hier.)
Die größten Veränderungen brachten dann die 1989 beginnenden politischen und wirtschaftlichen Reformen mit sich. Die großen staatlichen Betriebe wurden privatisiert. Aufgrund des Mangels an ungarischem Kapital gerieten dabei viele Betriebe in die Hände ausländischer Investoren und Konzerne.
In den letzten Jahren lässt sich – nicht nur wegen des ausländischen Einflusses sondern auch aufgrund von Veränderungen im Geschmack und Ernährungsbewusstsein der Ungarn – eine weitergehende „Internationalisierung“ der ungarischen Küche feststellen: anstelle der oft schweren traditionellen ungarischen Speisen treten leichtere, auch die Nachfrage nach vegetarischen Gerichten nimmt zu. Dennoch bleibt die traditionelle ungarische Kochkunst auch weiterhin gefragt, nicht nur bei den Einheimischen, sondern besonders auch bei ausländischen Gästen, die man zunehmend auch mit besonderen gastronomischen Angeboten ins Land ziehen will.
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Betreuung der Seiten, Übersetzungen: Thomas C. DAHN, Fachlehrer u. muttersprachlicher Lektor